Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Zinshöhe im Besteuerungsverfahren

Das Bundesverfassungsgericht hat durch Beschluss vom 08. Juli 2021 zur Verfassungsmäßigkeit der im Gesetz verankerten sogenannten Vollverzinsung Stellung genommen.

Wie in verschiedenen Medien bereits zu lesen war, hält der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts die in §§ 233a , 238 AO begründete Zinshöhe von 0,5% je vollendetem Monat des Zinslaufs – also 6% für ein Jahr – jedenfalls für die Zeit ab dem 01.01.2014 für verfassungswidrig.

Dabei hat das Bundesverfassungsgericht explizit ausgeführt, dass § 233a AO sowohl zugunsten (im Fall der Steuererstattung) wie zuungunsten (im Fall der Steuernachforderung) der Steuerpflichtigen wirke. Die Verfassungswidrigkeit wirkt also sowohl für als auch gegen den Steuerpflichtigen, auch wenn im Entscheidungsfall naturgemäß lediglich Nachzahlungsfälle Gegenstand des Verfahrens waren.

Allerdings führt die Verfassungswidrigkeit nicht in Gänze zur Unanwendbarkeit der Verzinsungsvorschrift der §§ 233a, 238 AO. Wie in der Vergangenheit des Öfteren zu beobachten, hat das Bundesverfassungsgericht –ausdrücklich zur Vermeidung von erheblichen Steuerausfällen und zur Sicherung der Haushaltsstabilität – das bisherige Recht für Verzinsungszeiträume, die bis einschließlich in das Jahr 2018 fallen, weiterhin für anwendbar erklärt. Für Verzinsungszeiträume, die auf die Zeit nach dem 31.12.2018 entfallen, hat der Gesetzgeber bis zum 31. Juli 2022 eine verfassungskonforme Regelung zu treffen.

Die Regelung des § 233a AO betrifft nicht nur Nachzahlungs- und Erstattungszinsen, sondern auch Stundungs-, Hinterziehungs-, Prozess- und Aussetzungszinsen.

Im Ergebnis heißt das Folgendes:

  1. Steuerbescheide, die aufgrund von Einsprüchen hinsichtlich der Verzinsung von Steuernachforderungen offen gehalten wurden und die Verzinsungszeiträume bis einschließlich 2018 betreffen, werden insoweit nicht geändert werden.
  2. Steuerbescheide, die mittels Vorläufigkeitsvermerken hinsichtlich der Verzinsung von Steuernachforderungen und –erstattungen seitens der Finanzverwaltung offen gehalten wurden und die Verzinsungszeiträume bis einschließlich 2018 betreffen, werden insoweit nicht geändert werden.
  3. Zukünftige Steuerfestsetzungen, die Verzinsungszeiträume bis einschließlich 2018 betreffen, werden für diesen Zeitraum weiterhin eine 6%tige Verzinsung vorsehen.
  4. Für Verzinsungszeiträume nach dem 31.12.2018 sind die Finanzbehörden (auch die Gemeinden in Bezug auf die Gewerbesteuer) an einer weiteren Anwendung des § 233a AO gehindert. Die Festsetzung der Zinsen wird nachträglich aufgrund einer bis zum 31.07.2022 zu treffenden Regelung erfolgen.
  5. Für Bescheide, die für den Verzinsungszeitraum nach dem 31.12.2018 eine Verzinsung von 0,5% pro vollendetem Monat vorsahen, ist die Verwaltung nach diesseitiger Ansicht gehalten, von Amts wegen eine Neufestsetzung vorzunehmen. Seitens des Steuerpflichtigen für die Zeit ab dem 01.01.2019 gezahlte Zinsen sind (vorläufig) vollständig zu erstatten, Zinszahlungen an den Steuerpflichtigen sind (vorläufig) vollständig zurück zu fordern. Fraglich ist, wie schnell es zu einer Neuregelung kommt und ob die Verwaltung tatsächlich im Vorfeld einer Neuregelung sämtliche betroffenen Steuerbescheide ändert und entsprechende Erstattungen von gezahlten Zinsen vornimmt. Hier bleibt abzuwarten, ob der bürokratische Aufwand aus Sicht der Behörden zu groß erscheint.